Ausgelutscht

Ich höre es gottseidank immer mal wieder und sogar immer öfter auch mal von anderen Menschen: "Alles ist so omnipräsent und so ausgelutscht. Das Besondere wird dadurch völlig eliminiert!" Das ist schön ausgedrückt, finde ich: Das Omnipräsente vernichtet das Besondere.

Mir fiel es schon vor Jahren, insbesondere am Phänomen "Disney "auf. Walt Disney stand jahrzehntelang für auserlesene und liebevolle Filme, die zur Weihnachtszeit in die Kinos kamen - und dann wieder spurlos von der Bildfläche verschwanden. Walt Disney, der bekannt dafür war Zeichner nach Hause zu schicken, wenn diese sich nicht ganz ausgezeichnet fühlten, war gegen jede weitere Vermarktung. Erst sehr spät erschienen schließlich auch seine Filme in den Videotheken. Da war die "erste Garde" in Person von Walt (und ab 1966 in seinem Bruder Roy) aber schon lange verblichen. Und erst sehr viel später überschwemmten plötzlich Disney-Videos den Markt. In ihrem Gefolge auf der ganzen Welt: Disney-Lands und Disney-Worlds plus der ganze übliche bunte Konsum-Plunder in Form von Mickey Mäusen, Winny Poohs und Arielles.


Heutzutage ist von der damaligen Einzigartigkeit und Besonderheit nichts mehr zu merken. Nach dem Film gibt es nun zu fast allen Helden "the true story before", als tägliche Serie. Die, welche Arielle, schon knapp 90 Minuten nach dem Kennenlernen, schluchzend in die Arme ihres Prinzen verabschiedet hatten, können nun doch noch nachträglich "alles" erfahren. Die Serie kehrt zurück "zu den Anfängen", als Arielle noch nichts von Beinen, Meerhexen und Stummheit wusste. Tag für Tag erklärt nun die grenzdebile Möwe munter, ähnlich wie in "Täglich grüßt das Murmeltier", wie man mit einem Dosenöffner die Wimpern formt und mit einer Mundharmonika die Haare föhnt. Tag für Tag erlebt Arielle neue putzige Abenteuer mit dem bibbernden Fisch Fabian, dem jähzornigen Meeresgott und der sauertöpfischen Krabbe Sebastian. GÄHN!

Auch Mowgli ist zurückgekehrt, in eine Zeit vor dem Kennenlernen der kulleräugigen Menschenschönheit, und schlägt sich täglich mit Balou und Bagira gegen den bösen Tiger Shirkan durch. Sogar in 3-D! Das heißt: Mowgli sieht überhaupt nicht mehr aus, wie Mowgli. Was noch übler ist: Disney setzt nun überall auf "Babys". Das heißt, wir erleben jetzt auch noch die "Story vor der Story" - nämlich nun stolpern Balou und Bagira plispernd und bettnässend durch den Dschungel, Mowgli ist da noch ein Zellhaufen. Auch Peter Pan und Tinkerbell tragen jetzt geistig wieder Windeln ... Entzückend.


Ein gutes Beispiel dafür war übrigens auch der Tod von "Wetten Dass". Diese Ressource war restlos aufgebraucht, als ihr alleiniger Träger plötzlich ausstieg. Bei ihm hatte sich die ganze Glamour-Welt um einen Platz auf dem Sofa, das jeweils dann in der Mehrzweckhalle in Karlsbad, Essen oder Detmerode stand, gedrängelt. Madonna, Michael Jackson, Sean Connery - niemand ist sich zu schade gewesen. Als "Thommy" ausstieg, war das der Tod der Sendung - und das dürfen auch alle gewusst haben. Dennoch haben sie die Leiche doch noch mal tanzen lassen und ein angesehener Showmaster war so dumm, sich in den viel zu großen Fußstapfen, vor aller Augen, lichterloh verbrennen zu lassen. Auch hier gilt wieder: Wenn einige wenige an etwas viel verdienen, wird es nicht aufgegeben, egal wie wenig nachhaltig es auch immer ist!

 

Und das beste Beispiel für mich ist Weihnachten. Also genau gesagt, das was Konsum-Unternehmen darunter verstehen: so viel Kohle scheffeln, wie nur möglich! Wie ist es möglich, dass "die schönste Zeit im Jahr" bereits bei Penny und Co. Ende August beginnt?! Können wir es ab Juli nicht mehr aushalten, ohne all die schönen Erinnerungen an Weihnachten wiederzubeleben? Hat die Konsum-Industrie Angst, wir könnten bis dahin restlos vergessen, mit welchen Vorstellungen die Firma CocaCola den modernen Weihnachtsgedanken übersetzt? Bevor Cola am Drücker war, bestand "der Weinachtsmann" noch aus dem die Kinder beglückenden Nikolaus. Dieser war schlank und zumeist eher bräunlich und fast ärmlich gewandet. Aber auch dünne rote Versionen wandelten schon über alte Postkarten hinweg. Diese amerikanische, knallbunte, fette Rauschebart-Variante gibt es jedoch erst seit 1933 von Coca Cola - und sie hat sich festgesetzt! Keiner, der schon mal im Oktober oder gar November in der Einkaufspassage unterwegs ist, bleibt davon unberührt. Kaum liegt das künstliche Deko-Herbstlaub da, schon flacken zwei Wochen später auch schon die ersten Windlichter mit der roten Schreckensgestalt dazwischen.

Ich sage dazu immer nur: "Wenn es keine gedankenlosen Trottel gäbe, die darauf dann programmgemäß auch noch anspringen, würde die Industrie sich das  wegen Ineffizienz schnell verkneifen!" Aber der Trottel ist scheinbar Programm und er ist viel unterwegs, denn sonst würde es ja nicht auch jedes Jahr früher passieren! Eines Tages werden Weihnachtsartikel ganzjährig Saison haben und niemand wird sich noch etwas dabei denken, wenn im Mai zum Pfefferminz-Tee dann Pfeffernüsschen und Zimtsterne gereicht werden ... Man darf das alles wohl nicht mehr ganz so eng sehen.

 

Wir leben heute in einer Zeit, in der einfach alles rücksichtslos ausgelutscht wird, bis wirklich kein Kapital mehr daraus schlagbar ist! Auf der "Qualitäts-Welle" ist kein Oskar mehr zu ersurfen, also verlegen wir uns derzeit nun auf "Bio" und "Nachhaltigkeit". Wenn auf dem Aldi-Premium-Qualitäts-Vollkorn-Ballaststoff-Stiftung Warentest-Zwieback nicht auch noch das BIO-Etikett  pappt - vergiß es! Und die Produktion von - wievielen solcher Etiketten - ist dann ja sicherlich auch zutiefst nachhaltig. Wenn man da dann alleine nur mal diese ganzen Aufkleber nimmt und wieder zu Bäumen zusammenrechnet. Ich meine: Müll braucht ja auch Papier, um nachhaltig zu brennen ...