Die Enthüllung verschiedener "Wahrheiten" ist ja heutzutage auch schon, wie so vieles, total inflationär: DER war ein Ex-Nazi, DIE war bei der Stasi, DER ist schwul, DIE war mal ein Mann, DER hat die Steuer betrogen, DIE hat sich die Zähne gebleacht, ... Gähn. Vielleicht auch, weil die Geheimnisse einem nur noch so um die Ohren fliegen, müssen sie wohl immer pikanter und unappetitlicher werden, damit sie überhaupt noch jemand zur Kenntnis nimmt ...
Neulich latschte ich halb-bewusst an einem Plakat des Deutschen Theaters vorbei: mal wieder ein Aufguss von Königin Elisabeth. "Ein geradezu rauschhaftes Drama, das seit der Uraufführung 1992 die erfolgreichste deutschsprachige Musical-Aufführung wurde".
Elisabeth - Die Wahre Geschichte Der Sissi
Entzückend.
Endlich die Wahrheit über diesen medial so ausgelutschten Teebeutel eines oft so tödlich gelangweilten Adels-Schicksals.
Und wie wahr muss die Wahrheit dahinter dann erst sein, wenn schon der Name nicht stimmt! "Sissi" ist alleinig eine Erfindung des ZDF für die von Romy Schneider so innig gehasste "verdammte
österreichische Kaiserin, die an mir klebt wie Zuckerwatte!" Zu Zeiten der Kaiserin von Österreich und Ungarn, nicht mal zu Zeiten des possierlich-kindlichen Tollens in Possenhofen, hat es jemals
eine "Sissi" (sprich: Sissssieh) gegeben. Die Kaiserin unterschrieb ihre eigenen Notizen manchmal mit "Sisi" (sprich: Siesie). Ob dieser Spitzname jemals Außenstehenden bekannt
und dann auch von ihnen gebraucht wurde, ist mit keinem Wort überliefert. Außerdem wäre es schon rein historisch nicht sehr wahrscheinlich. Über "Sisi" ist außerdem folgende Bemerkung ihrer
Mutter überliefert: "Elisabeth ist ein fürchterliches Kind! Das wirklich schönste an ihr, sind ihre Haare!"
Und das erschütternd wahre Musicaldrama, das mittlerweile passenderweise auch ins Japanische übersetzt wurde, wird uns wohl eine im Sturm an den Besanmast gefesselte Sissi auf dem Weg nach Madeira zeigen ...? "Oh, welch Sturm föhnt die Perücke, obwohl ich keinen Zollbreit rücke ...!"
Und werden wir sie auch singend ins Tatoo-Studio begleiten, wo schwielige Matrosenhände ihr einen Anker in den Arm stechen ...? "Oh, welch Stich durchzuckt die Häute, es ist, als ob die Glocke läute!"
Sind wir ergriffen, wenn die Kaiserin "spazieren rennt" und hinter sich einen Flohmarkt von Klamotten abwirft, denn die kollabierende Domestikenschar dann devot einzusammeln hat? "Oh, welch Hast erfüllt mein Herz!" (Sissi, rennend) "Oh, was tobt in uns'ren Muskeln Schmerz!" (Schar, japsend).
Weinend verfolgen wir dann wohl ihren Nervenzusammenbruch, wenn die Zofe das beim Striegeln ausgefallene Haar nicht schnell genug
unter der Schürze verschwinden lassen kann: "Oh, das Haar fiel mir vom Kopf, bald bin ich kahl wie'n Suppentopf!"
Sind wir dabei, wie alle Geladenen bei Tisch hektisch schaufelnd wie die Schweine fressen, weil die Kaiserin ja selber in ihrer
Magersucht nur isst wie eine Maus ...? Zumeist nur einen zahnlosen Teller rohe Rinderbrühe schlürfend? Und die alle anderen dann sogleich zum Aufhören nötigt, wenn sie selber den Löffel abgibt?
"Oh, welch Qual füllt mir den Magen, bin ich schon dick, wer kann das sagen?" (fahnlofe Kaiferin) "Die Kaiserin ist ein Skelett, hier werden wir gewiss nicht fett!" (schaufelnde
Schar)
Ich sehe sie vor mir, von Haus aus ja schon in jungen Jahren nur zahnlos lächelnd, mit dem zutiefst gehassten Gebiss an der Kette um den Hals baumelnd: "Iff brauche wahrlich keine Fähne, folang ich mich nach draufen fähne!"
Ein Taschentuch bitte, schnell ...
Möglich, dass die ganze Wahrheit hinter der ganzen Wahrheit dann doch ausversehen etwas - nun ja, zu menschlich und zu banal und
fu fahnlos wirken könnte. Also bleiben wir doch lieber bei dem, was wir kennen: "Frrrraaaanzzzllll!" "Sssissssssiiiieh!" Und das Ganze dann bitte mit 32 gebleachten und überkronten
Zähnen.