Ja, sie sind wieder da, die rohen Eiertage, es grüßt der allgegenwärtige Geist der Einacht ... Und lädt ein zum jährlichen Eiertanz, quasi.
Es gibt wohl keine sicherere Methode, um sich langfristig komplett aus der Erfolgsbahn zu radieren, als sich zum willfährigen Opfer schwammiger Feiertags-Diktate machen zu lassen und diesen blind zu folgen. In den Untergrund. In die Tiefen der Enttäuschung und der unerfüllten Sehnsucht, die das Abfeiern eines geistig überfrachteten Festes niemals wird erfüllen können. Allen enttäuschten Sehnsüchten voran schreitet der adipöse Coca-Cola-Weihnachtsmann mit seinen Sado-Maso-Stiefeln, im schwuchteligen Jäckchen und der affigen Zwergenmütze. Mal ehrlich jetzt: Wie kann man so was ernst nehmen?!
Jaja, ich weiß schon, das sind mal wieder total unproduktive und verbitterte Sticheleien einer zu Weihnachten von der Welt verlassenen Person ... Naja.
Man macht sich halt so seine Gedanken, insbesondere dann, wenn man schon länger freiwillig alleine lebt. Wenn man dann auch noch (aus möglicherweise gesundheitsförderlichen Überlegungen heraus) den Kontakt zur Herkunftsfamilie vermied, hatte man natürlich auch keinen rechtlich fundierten Anspruch mehr auf eine Einbettung in den allgemeinen Weihnachtswahnsinn. Iss klar. Ich meine: wir sind ja nun nicht zum Vergnügen hier! Weihnachten ist eine stressige und ernste Angelegenheit, das weiß doch nun mittlerweile wirklich jeder! Und auch, dass der offizielle erste Aldi-Advent am dritten September ist.
Das erste Weihnachtsfest alleine machte mir wahrlich eine höllische Angst!
Ich gehörte immerhin ja auch zur Disney-Generation, die mit den romantisch aufgepfropften Idealen einer Crew von Comic-Zeichnern aufgewachsen war. Und da wusste ich: Weihnachten ist wichtig! Es gibt einen Geist der Weihnacht, das hatte ja schon Charles Dickens populär gemacht, also musste es einfach stimmen! Weihnachten ist das Fest der Familie, wo sich alle programmgemäß lieb haben und es auch (endlich mal) zeigen! Weihnachten macht Frieden auf Erden (man denke da nur mal an die Engel von Minsk)! Weihnachten muss man ehren, sonst ... sonst ... naja, sonst passiert halt was übles! Man denke nur an Ebenezer Scrooge, das musste man ja nun nicht zwingend imitieren!
Darum bemühte ich mich redlich! Es war etwas schwierig zu bewerkstelligen, da ja nun nicht mal meine durchgehend
weihnachts-resistente Familie für ein paar flauschige Projektionen zur Verfügung stand, oder eine Beziehung!
Auf dem Höhepunkt der Stimmung rief dann auch noch mein Onkel an. Er fragte mich, was ich denn an Weihnachten so machte: "Nichts,
Du weißt ja, dass ich keine Familie mehr habe ..." Er sagte in mitleidvollem Bariton: "Ach ja, stimmt, mein Bruder und seine Frau, hm ... Naja, ich hab die Bude total voll. Deine drei Cousins
kommen, mit ihren Frauen, ein Enkelkind und diesmal sogar ein Hund ..." Er bemerkte leider nie, dass ich sehr wohl eine Familie hatte - und das diese gerade mit mir telefonierte.
Ich gehörte also schon jetzt nicht mehr dazu. Ich wurde nun auch offiziell nicht mehr geliebt. Keine Sau gedachte mehr meiner.
Tolles Fest ... Darauf einen Dujardin!
Da war guter Rat teuer und genau das wurde es dann auch. Es begann schon mit einem wahren Rausch an Dekorations-Käufen, das hatte
ich mir echt verdient! Und ich musste mich ja nun auch mal "in Stimmung bringen" dürfen hier! Man kann rückblickend sagen, dass das Interieur durchaus einer Coca-Cola-Dependance mit Show-Room
ähnelte ...
Ich verfiel in meiner Verzweiflung eben einfach prompt auf das nahe liegendeste, auf das alle anderen ja auch verfielen, wenn gerade mal keine Tüte Liebe zur Hand war: Konsum! Ich schlug daher vorsichtshalber schon im September voll zu, nicht dass ich dann am Heiligen Abend noch mit leeren Händen heulend alleine vor dem Baum hockte! Und ich packte alles sorgfältig ein. Weil es so viel war, in Zeitungspapier - mit fetten Zeitungspapier-Schleifen garniert. Das ganze Zeug wurde dann am Abend des 23. um den alleine rangeschleppten und vom Glühweinsüppeln dann leicht besoffen aufgeputzten Baum drapiert. Damit ich am Morgen des 24. beglückt (und schwerst überrascht!) ins "Weihnachtszimmer" tretend ausrufen konnte: "Hallo! Hussa! Heureka! Ich habe Geschenke! Ich werde geliebt!" (Um auf den Glühwein zurückzukommen ...)
Und dann begann ich nach dem schwerst gefühlsgeladenen, die Familie verherrlichenden Weihnachtsfilm, unter Beguss von einigem
Glühwein, mit dem Weihnachtsessen. Ich entschied mich für Fondue, dem Gemeinschafts-Essen schlechthin, wie es in unserer "Familie" ja auch Tradition war. Ich schwenkte dann über zu Sekt - damit es noch festlicher wurde. Und
natürlich zog ich mir was schickes an, auch damit die ganzen Fettspritzer später besser zur Geltung kamen. Das Fett blubberte heimelig, aber niemand verhedderte sich in meiner Gabel und
schubste die Kartoffel runter ... Niemand stahl meine endlich fertige Würstchenscheibe, "weil er mein Blau rein ausversehen für sein Orange gehalten hatte" ... Niemand brüllte: "Du Ross!" und
"Räumung! Wo ist das verdammte Sieb?!", als ich meinen panierten Käsewüfel mal wieder verträumt im Fett verlor ... Endlich mal kein Gedrängel, keine Fechtkämpfe, keine Kriminalität und richtig
Ruhe am Pott! Ach ja ...
Nebenher lief dann "Die Weihnachtsgeschichte" von den Muppets. Inklusive weinerlicher Lieder eines beim Singen gebrechlich vor sich hin hustenden Froschkindes: vom ach-so-herrlichen Geist der Weihnacht gar überall! Ich war einsamer denn je, der hustende Froschjunge namens Tiny Tim saß genau in meiner Kehle und ich ging flugs daran ihn zu ertränken. Und so spürte ich, wenn überhaupt, nur den Geist der Glühweinacht.
Und dann, nach ein paar Sektchen, umtorkelte ich den, wie immer mittig im Durchgang end-bescheuert geparkten Baum, und begann freudig (ja, freudig!!) überrascht (ja, total überrascht!!) mit dem Auspacken des Geschenke-Berges. Das war echt harte Arbeit. Nicht selten war ich gar nicht überrascht, komischerweise dann auch gar nicht so erfreut. Manchmal war ich dann aber ehrlich überrascht und dachte, man hätte die Zahlenkombination am Kellerschloss geknackt und mir was peinliches eingeschmuggelt. Ich rief irritiert, in der süßlich-affektierten Weihnachtsstimme von "Mutti": "Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!" und ich meinte es auch bitter-ernst. Darauf besser noch einen Schaumwein ...
Ihr habt es natürlich schon gemerkt - die Sache besaß eine schwerst begrenzte Reichweite! Ich hatte ja heimlich damit gerechnet, dass es sich ungefähr so anfühlte, wie eine verspakte 30-Watt-Glühbirne unter der Treppe, aber es wirkte ehrlicherweise dann leider doch nur wie ein nasses Streichholz in einem dunklen Keller ...
Also organisierte ich konsequenterweise im nächsten Jahr dann gleich "Eine Weihnacht für Verlassene".
Schon die Beschaffung von Verlassenen gestaltete sich allerdings enorm kompliziert, denn selbst der freundliche und gepflegte Süppelbruder, mit dem ich immer mal ins Gespräch kam, hatte seine Verpflichtungen. Es blieb schließlich ein trübes Häufchen von Zusammengekratzten, deren Namen ich heute nicht mal mehr weiß und noch weniger, wo ich sie schließlich dann doch noch aufgelesen hatte. Es war eine wirklich stille Nacht. Das mag auch daran gelegen haben, dass nur zwei von den erlesenen Gästen überhaupt Deutsch konnten ... Darauf - gut, ich mach es kurz: *hicks* ...
Ich hörte später dann noch ganz ähnliche Geschichten von virtuell organisierten "Reste-Weihnachten". Das Fazit: Scheiß-Gäste, die Hälfte kam schon besoffen an und gab sich den Rest dann gleich beim Essen. Apropos: Scheiß-Essen. Scheiß-Geschenke. Scheiß-Gespräche - jedenfalls die von denen, die ihre Zunge noch etwas beherrschten. Alles in allem: mal wieder ein nasses Streichholz. Ich hatte dann ja Gott sei Dank schon.
Apropos "nasses Holz" ... Ich hatte im Jahr darauf dann das wohl absolute Lowlight meiner Weihnachts-Karriere gezündet! In einem
von der üblichen Verzweiflung getriggerten Kaufrausch schon zu Anfang Dezember, hatte ich "einen schönen, großen, buschigen, gut gewachsenen Baum" (Ihr wisst schon: die übliche Krüppelkiefer)
angeschleppt und liegend auf dem Balkon geparkt. Sehr spät erst bemerkte ich, dass mein grenzdebiler Tigerkater sich daraufhin wohl wochenlang im Odem der Wildnis verfangen hatte und täglich bis
zu fünf mal (immer an verschiedenen Stellen) unter vollem Druck, zufrieden mit halb geschlossenen Augen schmatzend, an den kostbaren Baum hinstrullte ... Entzückend.
Also holte ich die Gießkanne und wusch ihn ab. Also den Baum. Obwohl ich schon auch in Versuchung war - aber lassen wir das
jetzt.
Das war ein wirklich schlauer Plan, wie sich schon bald herausstellen sollte.
Als ich den schönen, großen, buschigen, gut gewachsenen Baum dann am Abend des 23. im Wohnzimmer erigierte und ihn dann
regenschirmmäßig aufzuspannen versuchte, ging nicht mal das unsägliche Haarnetz ein Stückchen runter: Der schöne, große, buschige, gut gewachsene Baum war ein Eis-Koloss ...
Surprise!?
Also schleifte ich ihn in den Fahrstuhl, wo er sich prompt komplett verkeilte und sich erstmal wütend die tiefgefrorene Spitze abriss, was eine hässliche Wunde hinterließ. Ich verbrachte höchst genervt den störrischen Eisprinzen in den eisigen Keller, zum gefälligen Abtauen. Noch nach Stunden tat sich da aber nichts und ich gab auf und mir noch einen auf die Lampe: Frohsfäst!
Am nächsten Morgen lag zwar eine Schmelzwasserpfütze um seinen total schief abgesägten Stumpf, aber das probeweise, entschlossene
Herunterbiegen eines Astes hatte nur ein teuer klingendes *kricks* zur Folge. Ich war bedient und kriegte den Föhn. Und der Baum dann auch. Sicher lachen die ehemaligen Nachbarn noch
heute über diese Story, wie ich - rechts den eiskalten Glühwein und links den röchelnden Föhn - den Baum angepestet ondulierte.
Ja, irgendwann war er dann zwar halbwegs beweglich, aber es zeigte sich: er war zwar groß (nach seinem Fahrstuhl-Unfall allerdings nicht mehr ganz so hoch), aber bestimmt weder "buschig" noch "schön gewachsen". Er war gewachsen, das allein konnte man zweifelsfrei über ihn sagen. Und selbst das dann leider nicht sehr gerade (was die Frage aufwarf, wieviel Glühwein ich beim Kauf eigentlich schon intus gehabt hatte). Ehrlicherweise stand er nicht mal alleine im wackeligen Ständer. Remembering Ommas Bäume: Man nehme einen Nagel, (ein Stück blaue oder gelbe Plastik-Wäscheleine) und binde dieses unsägliche Stück nadelnden Mist ungekonnt an der nächsten Wand fest. Von wo er dann haltlos in genau die entgegengesetzte Richtung pendelte und dort schräg im Zimmer hängen blieb. Entzückend. Man nehme also noch einen Nagel und noch einen Glühwein ... Es war uferlos.
Ach ja, nicht zu vergessen: in meinen Socken und eigentlich im halben "Weihnachtszimmer" war dann mittlerweile das mittelhochdeutsche Kiefernwald-Feeling ausgebrochen! Milliarden toter Nadeln (angepisst, angefroren, dann auch noch abgeföhnt) und literweise gelbliches Schmelzwasser. Es war berauschend: der zweifach angebundene Baum mit der weggefetzten Spitze und dem an sensibler Stelle abgebrochenen Ast, umringt von lauter nassen Feudeln und Putzlumpen ... Das ganze Glück dann eingehüllt in den Odem von modrigem Wald und warmer Puma-Pisse ... Darauf einen Dujardin!!! Frohsfäst ... *hicks*.
Ich speckte also gezwungenermaßen noch weiter ab. Aber ich gab nicht auf! Noch lange nicht ...
In einem Abspann von Walt Disney stünde wohl zu lesen:
Viele Glühwein später …
Autoren-Lesung