Ich wohne in einer eher etwas piefigen Gurkengegend, wo zumeist keine subversiven Elemente ihr Unheil treiben, weder vor, und noch viel weniger im Haus. Eine Gegend, wo man schon überhaupt niemanden Fremdes antrifft, ist bei uns oben im Vierten. Darum stand da auch schon seit Jahr und Tag unbescholten, liebevoll in die Szenerie eingebaut und ziemlich überwuchert, eine ca. 100 Jahre alte Krämerwaage aus Russland auf dem hohen Fensterbrett. Sie hatte kyrillische Zeichen, Seepferdchen-Köpfe als Messleisten und schon eine Menge Flugrost. "Charmant" würde man das ca 10 Kilo schwere Schätzchen wohl genannt haben.
Dann kamen die Handwerker auf den Dachboden. Sie latschten, unbekannte Sprachen brabbelnd, tagein tagaus an der Fensterbank vorbei und kletterten dann in die Dachluke.
Als sie sich ausgeklettert hatten, war meine Waage mit ihnen verschwunden.
Jemand hatte sich in aller Ruhe die Mühe gemacht, sorgfältig abzuräumen und so hinzustellen, dass man die Lücke nur bemerkte, wenn man dediziert die Waage anschauen wollte.
Das hat mich mal wieder tief schockiert.
Ich meine, meine Altersversorgung hing nicht an dieser Antiquität, aber ich besaß sie seit weit über 20 Jahren und hatte sie lieb gewonnen. Jemand Fremdes hatte einfach völlig gedanken- und gewissenlos seine kriminellen Griffeln ausgestreckt und kurzerhand mein Eigentum an sich genommen. Weil es da eben unbewacht stand. Und weil er es eben gut fand. So what?!
Dieses Schock-Gefühl kenne ich sehr gut.
Ich hatte es, als ich feststellen musste, dass der Mann neben mir in der Tram mein Portemonnaie gestohlen hatte.
Ich hatte es, als ich erkannte, dass eine der beiden freundlichen Frauen, von der mich eine in ein Fachgespräch verwickelt hatte, mir den gesamten Kasseninhalt geraubt hatte.
Ich hatte es, als die Kriminalpolizei am Sonntagmorgen anrief und mich bat mal kurz "an den Tatort" zu kommen, denn mein Laden wäre nachts aufgebrochen worden.
Ich hatte es, als ...
Es ist der Schock, mit dem einem plötzlich der eigene Teppich unter den Füßen weggerissen wird.
Der Schock über die unglaubliche Gedanken-, Gefühl- und Rücksichtslosigkeit von sogenannten 'Mitmenschen', die sich über alle Grenzen der Moral und der Menschlichkeit hinweg setzen. Die auf die Gebote und das Gesetz pfeifen, nur um sich auf Kosten anderer persönlich zu bereichern.
Ja, das schockiert mich immer wieder!
Ich frage mich nämlich: "Was sind das nur für 'Menschen'?! Wozu sind die eigentlich noch sonst so fähig?! Würden die sich nicht vielleicht auf dem Parkplatz auch meinen Hund aus dem Auto holen, wenn sie dazu nur schnell eine Scheibe einschlagen müssen?!"
Die denken nicht darüber nach, was das mit ihren Opfern anstellt. Wie die sich jetzt fühlen müssen. Was das mit ihrem Weltbild und ihrem Vertrauen in die Menschen und ins Leben macht. Mit ihrer Menschenliebe und was das Schlimmste ist: mit ihren Werten.
Ich lasse meinen Mops jedenfalls seit dem Tag nicht mehr unbeobachtet im Auto, seitdem man mir in der abgeschlossenen Tiefgarage
am Panda die Scheibe zerstümmert hat. Nur um mal nachzugucken, was sich denn da in der Holzkiste auf dem Rücksitz befand. Und ob es sich zu stehlen lohnte.
Wird so unser aller Leben etwa zum Besseren gewendet?!
Durch genau ein solch für mich widerwärtiges Verhalten, werden aus Menschenfreunden irgendwann schließlich möglicherweise Misanthrophen.
Oder echte Arschlöcher, die sich jetzt dann mal alles rücksichtslos "zurückholen".
Es muss wohl nur oft genug immer denselben passieren ...