Aus sich rausgehen

Das ist eigentlich ein positiv besetzter Ausdruck: "Voll aus sich selber herausgehen". Im Sinne der Energie-Bilanz und der persönlichen Abgrenzung ist es das aber überhaupt nicht. Wer aus sich selber herausgeht, ist nämlich irgendwo, aber gewiss nicht mehr ganz bei sich - und das ist meistens schlecht.

Es gibt Erfahrungen, bei denen man naturgemäß aus sich selber heraustritt. Intensive Liebe gehört dazu, Verliebtheit, Gruppendynamik, einige spirituelle/religiöse Erfahrungen und durch tiefe Liebe genährte Sexualität. Viele Drogen und auch Alkohol sind ebenfalls bekannt dafür, die Grenzen zwischen dem eigenen Ich und der Welt zu zerstören. In diesen Situationen ist man total offen, sprich auch quasi nicht ganz dicht irgendwie.

Wenn man voll aus sich rausgeht, ist man sogar manchmal auf sehr unangenehme Weise nicht ganz bei sich. Das man außer sich gerät, kann z. B. leicht in einem Wutanfall oder einer Hasslawine passieren, was gar nicht so selten dann auch zu partiellen Amnesien führt. Man war sich also selber so fremd, dass man nicht mal mehr eine Erinnerung daran hat!

Was ich aber besonders im Blick habe, ist eher eine Art "Ablenkung" der Selbstverbundenheit. Es gibt im Alltag Situationen, die wie gemacht dafür sind, uns aus dem Kontakt zu reißen. Einige unabsichtlich, andere bewusst, um uns abzulenken und gewisse Nachteile zu übersehen.

 

Typische Self-Contact-Breaker sind:

  • Plötzlichkeit
  • hohe Lautstärke
  • Gewalt aller Art
  • Spontane, auch scheinbare Gefahr
  • alle Arten von Stress
  • stark auf uns einwirkende Botschaften
  • Überraschungen
  • alle Arten von an uns gestellten Fragen
  • . . .

Ihnen allen ist zu eigen, dass sie von unserer Neurobiologie wie "Stress" beantwortet werden, nämlich mit einem Flow von Adrenalin. Und Adrenalin ist nun mal hinreichend bekannt dafür, dass er einem die Birne vernebelt und einen Tunnelblick erzeugt. Darauf setzen fragwürdige Angebote mit Zeitverknappung, oder auch Räuber: Sie erzeugen durch ein (scheinbares) Angebot Stress, indem der Traktierte plötzlich glaubt, eine wichtige Entscheidung treffen zu müssen. Und damit wird dann sein Fokus von ihm selber weg und nach außen auf die gestellte Aufgabenstellung gelenkt ...

Oft genug erledigen wir das aber auch selber sehr gut! Indem man uns positiv, oder negativ überrascht, hat man uns schon schnell aus dem Selbstkontakt gebracht. Neulich habe ich es selber erst wieder fertiggebracht. Über eine flockige Frozzelei kam im Baumarkt mit einem warmherzigen Mann ein intensiver, komischer und sehr lebendiger Flirt in Gang. Das führte schließlich dazu, dass er darauf bestand mich auf seine Kundenkarte zu 10% Rabatt einzuladen. Er machte dann allerdings so dermaßen lange mit seinem Handy rum, bis er die entsprechende App dann endlich gefunden hatte, dass alle sich bereits unwohl fühlten: Die Kassiererin, die Kunden hinter ihm, ich ... Aber er ließ sich nicht bremsen und hielt uns damit alle in Schach. Ich verließ mich dann leider, weil ich mich schämte, fremdschämte und nur noch auf IHN guckte, wann er es da dann nun endlich fertig gebracht hatte an seinem Höllengerät. Er schaffte es dann aber doch noch und ich verließ mit einem Aufatmen die immer unruhiger gewordene Kassenschlange.

 

Zuhause erkannte ich den Preis, den ich für diese bescheuerte Aktion gezahlt hatte. Auf meinen Einkauf von 43,- Euro hatte ich 4,30 Euro Rabatt geschenkt bekommen und für 10,70 Klebe-Tapes liegengelassen, außerdem fand ich den Bon nicht wieder. Das hieß in der Endrechnung: Ich musste also noch mal zum Baumarkt, weil ich die Dinger immer noch nicht besaß, konnte aber nicht beweisen, dass ich sie schon gezahlt hatte- und ich hatte dabei auch noch 6,40 Euro draufgezahlt.

Ein Super-Deal mal wieder!

 

Also sollte man wohl besser darauf achten, gerade in Momenten der Überraschung und im Stress nicht völlig außer sich zu geraten und den Kontakt zum eigenen Mittelpunkt zu verlieren, sondern "mit einem Faden" zu sich verbunden zu bleiben. Erfolg ist immerhin auch immer eine Frage von Präsenz und Unmittelbarkeit.