Das verzeihe ich Dir nie!

Ich habe gerade in älteren Notizen gestöbert und traf auf folgendes ZITAT:
"Der Beziehungs-Showstopper Nummer Eins (offen oder latent), ist die nicht verziehene Verletzung"
Das ist für mich auf fast unheimliche Weise wahr ... Denn wenn auch nur EIN grober Misston im Orchester schwingt, geht die ganze Konzertierung flöten - und oft weiß man gar nicht, warum eigentlich!

Die üblichen Symptome:
  • man hat gemeinsam keinen Erfolg (mehr) ...
  • man scheint immer wieder an die gleichen Blockaden zu stoßen ...
  • manchmal unterliegen bestimmte Prozesse und Gespräche einem Wiederholungszwang ...
  • es gibt immer wieder komische Reibereien ...
  • Diskussionen um scheinbare Kleinigkeiten ...
  • Dominanzgerangel, Widerstand gegen Anordnungen/Befehle/Forderungen/Abkommen/Bitten/Wünsche ...
  • der Andere ist oft plötzlich widerborstig, bockig und contra gegen Beziehungsangebote ...
  • Dinge werden "in den falschen Hals bekommen" und stets erst mal negativ aufgenommen
  • passive Aggression wirkt im Untergrund und sabotiert heimlich die Basis der Beziehung
  • . . .
Aber man kriegt den wahren Auslöser einfach nicht zu fassen ...!
Oft liegt dann nämlich bei mindestens einem der Teilnehmer eine "eigentlich schon lange vergessene" Verletzung im Untergrund. Diese wurde nicht ausreichend besichtigt und verarztet, sitzt an einer wichtigen Stelle (~ es wurde also ein tragender Wert verletzt!), wird immer wieder aufgeweckt und tut dann erneut weh. Oder sie meldet sich im Unterbewusstsein mit einem blockierenden: "Vorsicht! Nicht dass dann wieder ... passiert!"

Das Problem mit schwerwiegenden (und das ist eine rein individuelle Bewertung!) Verletzungen ist, dass sie eigentlich nie vorbei sind. Wenn das seelische System durch die Einwirkung einer anderen Person erst einmal Schaden genommen hat, wirkt das wie ein "Micro-Trauma". Das passiert nach meiner Beobachtung bereits in dem Moment, wo sich die Seele an diesen Schmerz erinnert. Und ein Trauma, egal wie winzig es ist, fragt in seiner Existenz leider nie nach Informationen wie: "Das war keine Absicht!" und "Tut mir echt leid!" und "War gar nicht so gemeint!" Es ist, als sei einem ein Elefant voll den Fuß getreten. Dabei ist es am Ergebnis gemessen wirklich völlig schnuppe, ob das nun Absicht war, oder nicht - der Fuß ist Matsch! Und es tut auch nicht weniger weh, wenn man weiß, dass Tulla einfach nur einen impulsiven Ausfallschritt gemacht hat. So ist das mit seelischen Verletzungen möglicherweise auch ...
Das wirklich Beste, was damit passieren kann, ist was "The Corrs" darüber sangen: "You're forgiven - but not forgotten!" Und was nicht vergessen wurde, das wirkt eben. Ist aber eigentlich auch egal, ob es vergessen wurde oder nicht: Es wirkt ja sowieso. Es ist alles nur eine Frage der Dosis.

Wenn man nun einen Schritt weitergeht, würde das bedeuten, dass nichts jemals wirklich vorüber geht, keine Liebe und keine Verletzung. Das die Seele sich an alles erinnert und nach ihrer Natur eben ihre Erfahrungen gewichtet und filtert. Somit können "Verletzungen" in einem Fokus auf "Liebe" in den Hintergrund verschoben werden - wo sie dann nicht mehr so stark wirken und keine Sprechrolle mehr bekommen. Aber wenn etwas uns verändert hat, wenn wir also etwas gelernt haben, wenn wir eine echte Erfahrung gemacht haben, dann hat uns das auch verändert. Und damit ist diese Ursache dann auch für immer in uns verankert. Wir sind eben keine Computer, der dann die Installationsdateien irgendwann wieder aus der Registry löscht. Erfahrungen formen unser Gehirn und werden dort im wahrsten Sinn des Wortes in Fleisch gemeißelt.

Soweit zum nicht-vergessen-Können - und damit sind wir wohl auch beim nicht-verzeihen-Können. 
Was bedeutet denn Verzeihen in diesem Zusammenhang ...? Ist es soviel, wie Verständnis für die Motive und Handlungen eines anderen zu suchen? Entkoppelt man damit die Ursache von der Wirkung, damit es leichter auflösen kann? Verzeihen tut man zwar zumeist einem Anderen, in Wahrheit befreit man sich aber zuallererst einmal selber von der unguten und schweren Wirkung, die eine Schuld ausströmt. Einhellig gilt wohl die Meinung, dass wer nicht verzeihen kann, ein armer Wurm ist, weil er an Ursachen und  Wirkungen gleichermaßen klebt und eine alte Schuld einfach nicht begleichen kann. Ich würde mal sagen: Was klebt, das lebt! :-D
Mit Verzeihen ist das wie mit Stil  - erzwingen kann man gar nichts: entweder man hat es, oder man hat es eben nicht. Und manchmal ist es vielleicht, auch wenn es nicht so heilsam wie Verzeihen ist, dennoch nützlich gewisse Dinge nicht zu verzeihen - einfach weil sie nicht verzeihbar sind. Und weil daher auch eine Wiederholung durchaus denkbar wäre ...?

Mein Beitrag wurde neulich in einem Forum diskutiert und mündete in der Ansicht: "Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin, dann schaden oder behindern mich zurückliegende Verletzungen nicht mehr!"
Schön wäre es ja.


Ich würde das Reine mit Klarheit übersetzen wollen. Denn wer klar ist, dem fällt es irgendwann mal auf, dass er alte Schmerzen mit sich herumschleppt. Und dass er diese ausversehen immer wieder auf andere Prozesse, Situationen und  Menschen projiziert ... Womit er sich in seinem Kopfkino verläuft und nirgendwo ankommt, außer im eigenen Spiegelkabinett.
Ich glaube fast, dass ein Hinweis darauf sogar im Ersten Testament zu finden ist: "Am Anfang war das Chaos und Gott trennte die Dunkelheit vom Licht, die Nacht vom Tag, das Schwere vom Leichten ..."
Sprich: Er schaffte ORDNUNG in dem Laden und KLÄRTE erst mal die Lage, bevor er mit anderen Dingen dann weitermachte ...