Ich habe etwas skurriles im Bekanntenkreis erlebt.
ER ist Mitte 40, lustig aber nicht sehr schillernd, meistens dunkel angezogen, eher kleiner und recht dick, Busfahrer. Stolz ist er darauf, von buddhistischen Mönchen erzogen worden zu sein (wovon man aber im Hausgebrauch nichts bemerkt).
ER hatte eine riesige und häßliche Warze oben auf der Ohrmuschel und als diese zu wachsen und "zu arbeiten" begann, suchte er den Arzt auf. Dieser schnitt sofort, auch aus optischen Überlegungen heraus und schickte das Ding automatisch ins Labor.
Die Diagnose war erschütternd: Ein unbekannter, extrem seltener und extrem bösartiger Hauttumor, der sich aus Muttermalen entwickelte und so dermaßen schnell wuchs, dass er bereits dann unumkehrbar "gestreut" hatte, bevor man ihn überhaupt sah. Heilung: nein! Therapie: nein! Erkenntnisse: nein! Rettung: nein! Gekommen war er mit "einer Warze" nun hatte er plötzlich nur noch eine Lebenserwartung von max. 18 Monaten.
Etwas sehr sonderbares geschah daraufhin.
ER kleidete sich nur noch hell und bewegte sich wie in Zeitlupe. Er lächelte ununterbrochen, wie frisch erleuchtet und von allen Engeln umschwebt. Er saß auf dem Küchenstuhl wie ein kleiner zufriedener Buddha, irgendwie dem weltlichen Trubel auf geheimnisvolle Weise enthoben - und bereits fast in anderen, zweifellos höheren, Sphären.
ER behandelte sein Drama unmißverständlich brutal, blieb dabei aber stets heiter und fröhlich. Er sagte zu mir: "Hallo Nicci, übrigens - ich werde demnächst sterben - Tee oder Kaffee ...?"
ER sprach nur noch von "Euch" - und begann Sätze mit "Wenn ich dann gegangen bin..." - und "Ich bin dann ja nicht mehr da, wenn ..."
Ich hatte den Eindruck diese Krankheit gab ihm einen Seltenheitswert, den er jede Sekunde auskostete. Sie machte ihn rar, denn bald würde er (O-Ton) "ja nur noch Wumfutter sein, haha".
Diese Diagnose gab ihm etwas Besonderes, mit dem er intensiv zu arbeiten begann. Er kämpfte nicht gegen sein Schicksal an, trug es heiter und tapfer wie der kleine Zinnsoldat, klagte und jammerte nicht, spielte nicht verrückt, kreierte keine Dramen... Nein, er stellte sich einfach, er gab nicht auf, er gab einfach ganz ruhig nach, er gab sich still allem hin. Wie ein kleiner Buddha.
Dann nach sechs Monaten kam die ernüchternde Diagnose. Das Labor hatte sich geirrt! Es war zwar ein Tumor, aber ein gutartiger und das Wegschneiden hatte alle Risiken beseitigt. ER würde also leben.
Und wieder geschah etwas seltsames mit ihm.
Es war, als wäre ER "aus allen Wolken" und auch vollkommen "aus der Rolle" gefallen... Plötzlich mutierte ER wieder zum stumpfen Busfahrer in Dunkelblau, schlurfte draußen mit schlecht gelaunter Flappe umher und hatte einen matten, uninteressierten Blick ...
Fazit: Nicht jede gute Diagnose ist die beste, die einem passieren kann ....?