Auf der Suche nach meiner Bestimmung

Das mit "der Suche nach seiner Bestimmung" ist ein Phänomen der westlichen Welt, bzw. der Ersten Welt. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass ein somalischer Ziegenhirt nach seiner Bestimmung fragt. Die Familie besitzt fünf Ziegen, er ist der Sohn, zu schwach zum Wasserschleppen und zu blöd zum Schnitzen: ecco!

Mit dieser scheinbar schwerwiegenden Frage muss wohl auch eine gewisse Langeweile und ein Hang zum Überdruss einhergehen. Es reicht nicht einfach sich durchzubringen, ohne tragende Werte dabei verletzen zu müssen - nein, es muss noch eine Bestimmung her.

Früher war es noch "nur" eine Berufung ... eine Neigung, die von Talenten und einer Vision, also einem Ruf, flankiert wurde.

 

Damit kommt man heute aber nicht mehr weiter! Man wird nicht berufen, man wird bestimmt. Da fragt sich der Sinnende: "Wer genau ruft denn eigentlich bitte so eine Bestimmung aus?" Die Antwort überrascht nicht: niemand geringerer als Gott natürlich. Denn nur der hat den ganzen Wahnsinnsplan auf seinem universellen Reißbrett und weiß, wer zu was bestimmt wurde. Kleiner Fehler vom Amt: wie war das noch mal mit dem freien Willen ...? War dann wohl nix, wenn wir alle schon vorbestimmt sind?! Außerdem enthält dieser Konstrukt viele menschliche Fehlbarkeiten! Keiner weiß so gut wie Gott (und immerhin hatte er ja schon ein paar 10.000 Jahre Zeit, uns eingehend zu studieren), wie blöd wir eigentlich sind. Und damit weiß er auch, dass die Chance, dass wir "unsere Bestimmung" verpassen (und damit als vorbestimmtes Rädchen im Universum dann den Masterplan in der Sand setzen) ziemlich fett ist. Würde er, soweit ich ihn kenne, auch so nicht wagen. Wäre darüber hinaus auch fies von ihm! Ich meine: er setzt mich hierher, teilt mir eine Bestimmung zu und der Rest liegt dann bei mir tumben Tropf alleine?! Ich hab ja nicht mal ein Handbuch mitgekriegt: "How to find my Destiny!" Wenn Gott mir eine Bestimmung zugeteilt hätte, von der dann ja wohl auch was abhinge, weil: was soll der ganzen Zirkus sonst?! Naja, dann hätte er sie mir gewiss zur Sicherheit auf den Hintern tätowiert. Nur, damit die Sache auch wirklich klar ist. Und damit Mutti beim Windeln schon weiß, dass es mir bestimmt ist, den 118-ner zwischen Lurup-Zentrum und Stadtpark zu fahren. Sicher ist sicher.

 

Warum überhaupt diese philosophische und auch psychische Überfrachtung eines Lebens mit "einer Bestimmung" ...? Ist es vielleicht nicht auch ein heimlicher Griff nach der Kontrolle? Aber wer greift da zu? Na klar, das Ego mal wieder - in seiner unstillbaren Sucht nach Wirksamkeit und Geltung. Das Ego will wichtig sein, bedeutsam und mindestens eine Bestimmung haben. Mit einem faden "Sinn im Leben" lässt es sich nicht mehr abspeisen, einfach "seinen Platz zu finden", reicht auch nicht mehr. Ich meine, das kann ja nun jeder Köter, seinen Platz finden ...?!

Außerdem steht auch die platte Frage im Raum: Ist das pysikalisch eigentlich stemmbar, dass jeder Mensch seine Bestimmung findet und auslebt? Geht die Welt dann überhaupt noch? Und was ist mit den Tieren und Pflanzen? Dämmern die nur so vor sich hin, oder haben die dann auch "einen Bestimmungs-Job" im Universum? Oder ist die Bestimmungs-Geschichte wieder mal so eine elitäre Geschichte? Wer genug Kohle geerbt hat, um nicht den 118-ner fahren zu müssen, macht sich auf die Socken nach seiner Bestimmung? Kann es eine Bestimmung sein, Kondome herzustellen? Oder Reiscracker? Oder hat nur derjenige seine Bestimmung gefunden, der die Fabrik für die Reiscracker in den Kondomen da jetzt hingestellt hat? Und all die anderen Wichtel sind nur Erfüllungsgehilfen seiner Bestimmung?

 

Und was passiert, wenn man seine Bestimmung nicht rausfindet?

Man verpasst sein Leben, seinen Sinn und Zweck, seine Bestimmung eben! Das ist bestimmt eine schrecklich Sünde, sowohl an Gottes Willen, an seinem Plan und an unseren Ressourcen, den kostbaren. Könnte es sein, dass viele Menschen heutzutage das Tempo so hoch drehen, weil sie immer noch auf der Suche nach "ihrer Bestimmung" sind und sich irgendwie immer noch "nicht ganz angekommen" fühlen ...?

Und wie merken die das, wenn sie es endlich geschafft haben? Kommt dann ein Fax von Gott: "Bingo! Geh über LOS und ziehe viertausend Mark ein!" ...? Oder sind sie dann plötzlich ganz ruhig und still und glücklich ... für immer?

Ich glaube, das muss mal jeder vollbewusst für sich selber entscheiden. Sucht er für sein Leben einen Sinn, einen Platz oder eine Bestimmung ... Und wenn er überhaupt irgendwas sucht, um sein Hiersein zu rechtfertigen (oder zu entschuldigen): Warum ist das eigentlich so wichtig?