Ich bin nicht die Einzige in München mit dem "Trachten-Burnout". Es geht los in der zweiten Septemberwoche und hört nach der
ersten Oktoberwoche wieder auf: die ganzen unappetitlichen Erscheinungen des Jahrhundertevents 'Oktoberfest'.
Für mich als Münchner bedeutet das:
- Die ganze Stadt ist voller Besucher und Ausländer (6,3 Millionen Besucher in 16 Tagen), die sich in aller Regel auch so benehmen, als wären sie demnächst wieder weg ...
- Erhebliches Maß an Kriminalität: Eigentumsdelikte, Überfälle, Vergewaltigungen, körperliche Attacken,
...
- Dreck, Flaschen, Scherben, Maßkrüge, Müll und Pisse überall im Stadtkern ...
- Münchener werden öffentlich aufgefordert dem stadteigenen Spektakel am besucherstärksten Wochenende fernzubleiben ...
- Ab 10h morgens bereits überfüllte Verkehrsmittel in Richtung 'Wies'n' ...
- Überfüllte Verkehrsmittel mit grölenden, besoffenen, oder noch immer weiter saufenden Besoffenen aus Richtung 'Wies'n' ...
- Bereits sechs Monate vor dem Beginn des Oktoberfests (also ab März!) sind Reservierungen für Festzelte nicht mehr zu bekommen ...
- Wer einen Platz ergattert hat, um gegen unfreundlich-verächtliche und anmaßende Behandlung Geld in einem stinkenden Zelt
ausgeben zu dürfen, hat sich dem Mindestverzehr zu unterwerfen. Die Stadt findet 30,- Euro pro Person, wie sie z.B. das Hofbräu verlangt, total angemessen. Auch, wenn dafür die Krüge leider nicht
immer ganz voll sind. Dass in manchen Zelten diese Horror-Forderung bis auf 80,- Euro angestiegen ist, interessiert allerdings niemanden.
- Ich muss mit ansehen, wie sich die ganze Welt über uns lustig macht, indem sie sich mit unserem ehemals kulturellen Erbe aufs
billigste kostümiert, um eine riesige Faschings-Scharade "abzufeiern" ...
- Dazu gehören dann auch pinke Mini-Nutten-Dirndl (natürlich ohne Unterrock) mit Cowboystiefeln und einem Bambi-Tatoo auf den
hochgeschnallten, aus dem billigen Blusensaum rausquellenden Brüsten ... Das Ganze mit Adiasrucksack, Lebkuchenherz und in völlig besoffen ...
Noch nicht bemerkt? Wir haben hier in München bereits das gleiche Problem, wie die Australier mit ihren Aborigines.
Diese an den Rand gedrückte Bevölkerungsschicht versuchte ihrem Elend dadurch zu entgehen, indem sie sich wenigstens mittels
Drogen und Alkohol ins Vergessen schossen. Dadurch benötigen sie allerdings auch Geld. Und das versuchen sie zu bekommen, in dem sie am Flughafen dann mal kurz das Einzige verkauften, das sie
besaßen: ihre Kultur, welche untrennbar mit ihrer Religion verknüpft ist. Sie kopieren seit dem ihre heiligen Artefakte tausendfach und verkaufen sie an "Unwürdige", die gar nicht verstehen
wollen, was das überhaupt alles bedeutet. Die Regierung bemüht sich nun schon seit Jahrzehnten intensiv, das inflationäre Verschleudern der alten Religion zu unterbinden - aber wenn das Geld für
einen gescheiten Rausch winkt, hilft Vernunft auch nicht mehr weiter. Die Regierung versucht den Aborigines zu erklären, dass sie über das seelenlose Kopieren dieser wertvollen Artefakte die
Kraft hinter ihrer Religion aushöhlen, sie ausbeuten und die spirituelle Kraft dahinter vernichten. Die Aborigines nicken dann sehr verständsinnig und sagen ganz empathisch: "Alles klar,
SKULL!!"
In München läuft es schon genauso.
Trachten sind eigentlich das Ergebnis langwieriger, gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen. Strenge Kleiderordnungen,
wie im Reichserlass von 1530, sollten auch verhindern, dass sich die Untertanen durch Prunksucht verschuldeten. Trachten brachten zum Ausdruck welche die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, zu
einem Stand und auch zu einer Region man hatte. Man trug damit gerne seinen Stolz über diese Zugehörigkeiten zur Schau. Münchener schlüpfen auf dem Oktoberfest in ihre Tracht, um ihre
Zugehörigkeit als Bayer oder Münchener zu zeigen. Sie sind dann auch kulturell mit jenem ersten öffentlichen Fest vom 12. Oktober 1810 verbunden. Aus Freude und Respekt werfen sie sich, als
Teilnehmer dieser sich jährlich wiederholenden Hochzeitsgesellschaft zwischen Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese, schick in Schale. Es handelt sich also mitnichten um eine lächerliche
Kostümierung, sondern um ein gelebtes Kulturerbe.
Und dann kamen die armen münchner Aborigines am Hauptbahnhof auf die Idee "Trachtenschleusen" einzurichten, um aus schlitzäugigen oder schwarzen Besuchern, schlitzäugige und schwarze Besucher im Billig-Trachtenlook zu machen. Die gehen also quasi vorne in Kimono und Baströckchen rein ;-) und kommen hinten im Taiwan-Trachtenlook wieder raus. "Malie, da liegt ein toter Fisch im Wassel!" So wurde aus einem Volksfest, eine Volksfarce. Und wem beim Anblick von flatterig-billigen Mikro-Dirndl in schreienden Farben an Cowboystiefel und Jeansjacke, garniert mit Brust-Tatoo, Nasenpiercing und Hängerucksack übel wird, der sollte besser sehen, dass er die Stadt lautlos verlässt. Er wird diesem kulturellen Ausverkauf nämlich leider nicht enkommen können.