Allen geschätzten Lesern, die diesem Umstand noch nie begegnet sind, möchte ich zuerst einmal begegnen - wie das so meine Art ist: mit nackten Fakten. Zuerst das wichtigste: "Lärmkrankheit" ist kein von mir erfundenes Wegwerfwort (wie dieses hier), sondern ein medizinischer und soziologischer Fakt, der gerade in den Städten, immer mehr Beachtung auf sich zieht. Die gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung von Lärm ist, von den direkten Hörschäden einmal abgesehen, ein langer, schwer überschaubarer Prozess, der von zahlreichen Faktoren mit beeinflusst wird. Schwierig für objektive Messungen und Beurteilungen ist, dass "Lärm" eine vollkommen individuelle Angelegenheit ist, die auch oft dazu noch von Tag zu Tag immer wieder anders beurteilt werden kann. Dabei spielen die Empfindlichkeit des Individuums, die Dauer, die Häufigkeit, die Qualität, sowie die innere Beurteilung dessen, was als "Lärm" empfunden wird, sehr entscheidende Rollen.
Über manche Lärmquellen, wie zum Beispiel Kindergeschrei und Hundegebell, besteht Uneinigkeit. Über andere Lämquellen, wie zum Beispiel Baustellen, Sirenen und Laubbläser, besteht Einigkeit. Es ist kein Zufall, dass den Trägern dieser Lärmgeißeln nicht selten Aggressionen entgegen schwappen, während sie hoch konzentriert (und schon seit 22 Minuten unter unserem Balkon) in tödlicher Ernsthaftigkeit einzelne Blätter über den Gehsteig hin und her jagen ... "Lärmsmog" heißt soetwas. Und es wird so quälend aufgenommen einmal wegen der unglaublichen Lautstärke, dann wegen der aggressiven Frequenzen (auf-/abschwellendes Heulen) und auch wegen der offensichtlichen Unnötigkeit (es ist immerhin nichts, was ein Besen nicht fast lautlos erledigen könnte). Größtes Problem: Diese Höllenmaschine sitzt jeweils auch noch mit auf der üblichen Lärmglocke drauf, die uns ja sowieso schon umgibt ...
Die Schmerzgrenze für unsere Ohren liegt bei 120 Dezibel. Doch auch Straßenlärm mit rund 80 Dezibel (Laster kommen auf 90 bis 100 Dezibel, aufgebohrte Motorradauspuffe toppen das noch), kann auf Dauer krank machen. Und das auch schon weit unter einem Schalldruckpegel von 85 Dezibel, selbst dann, wenn er gar nicht als bewusst störend wahrgenommen wird, z.B. im Schlaf. Wichtig für die Entwicklung einer Lärmkrankheit ist, ob der Lärm permanent und gleich laut vorkommt oder ob er uns nur vorübergehend quält.
Die Lärmbelastung durch Straßenverkehr wird immer mehr zum Konfliktfeld in Siedlungsgebieten. 64% der Bevölkerung fühlen sich durch Verkehrslärm bereits "stark" oder "sehr stark" belästigt. Im Schnitt leben weit über 60% aller Bewohner in Gebieten, die bei Tag einer Lärmeinwirkung von mehr als 55 Dezibel ausgesetzt sind. Der Straßenverkehr wird von 61% der Betroffenen als Hauptverursacher der Lärmstörungen empfunden.
Zwar sind sowohl Autos, Motorräder, Züge und auch Flugzeuge in den vergangenen Jahren messbar leiser geworden, ihr Aufkommen ist jedoch unproportional gewachsen. Das (eben nicht nur subjektive) Empfinden der Menschen, dass ihre Umgebung (viel) lauter geworden sei, geht alleine oft auf dieses deutliche Mehr an Fahr- oder Flugzeugen zurück. Außerdem gibt es zwischen den Spitzen immer weniger, und manchmal bereits schon überhaupt keine Lärmpausen mehr.
Da ist es, subjektiv und ganz objektiv, kein Wunder, dass Menschen eine sich vor dem Haus einrichtende Baustelle als reine Nervenqual empfinden. Insbesondere dann, wenn davor auch noch spielende Kinder schreien, ungezogene Hunde bellen und sie alle vom ansässigen Hausmeister mit dem Laubbläser gejagt werden ...
Auch die Erholung des Organismus wird durch Lärm stark beeinflusst. Ab einer Lärmbelastung von mehr als 50 Dezibel ist die Kommunikation im Straßenraum fühlbar erschwert, bei mehr als 55 Dezibel gilt sie als erheblich beeinträchtigt. Stehen wir also direkt an einer stark befahrenen Straße, befinden wir uns in einer Lärmglocke von 70 bis 80 Dezibel, kommt ein scheppernder, leerer Kieslaster vorbei, prasseln bis zu 100 Dezibel auf unsere Nerven ein. In Innenräumen werden sogar bereits bei Lärmpegeln ab 40 Dezibel deutliche Lern- und Konzentrationsschwächen festgestellt.
Klinische Stadien der Lärmkrankheit
Stadium I: Verhaltensänderungen, Änderungen der Stimmung, häufigere Infekte - vor allem Atemweginfekte
Stadium II: Depression, Aggressivität, neurologische Erkrankungen (Tinnitus) und Gefäßerkrankungen
(Arteriosklerose)
Stadium III: Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Epilepsie und Suizid
Lärm ist ein unabhängiger und nicht mess- oder kontrollierbarer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Krach löst Stressreaktionen aus, woraufhin Hormone wie Adrenalin/Noradrenalin/Cortisol verstärkt auf uns einwirken. Das lässt den Blutdruck steigen, beschleunigt die Herzfrequenz und aktiviert die Blutgerinnung. Schätzungen des Kardiologen Kääb zufolge sind mittlerweile etwa 4.000 Herzinfarkte jährlich in Deutschland allein auf den Straßenverkehrslärm zurückzuführen.
Die psychischen Folgen sind aber teilweise sogar noch weitreichender:
- Konzentrationsmangel
- Leistungsabbau
- Motivationsdefizite, Lustlosigkeit
- Lernbehinderungen (am häufigsten messbar bei Kindern)
- Depressive Verstimmungen bis hin zu Depressionen
- Schlafstörungen
- Psychiatrische Sensationen bis hin zu echten Erkrankungen
- Aggressivität und Gewaltneigung
- Fluchttendenzen
Die Gleichung ist kurz: Je länger ein Mensch in (zu) lauter Umgebung lebt, desto größer ist sein Risiko für gesundheitliche und psychische Probleme.
Auch wenn das immer noch Einige stoisch vertreten (insbesondere Vermieter hinter der Hauptpolizeiwache und dem Fernbahnknoten): An Lärm kann man sich nie gewöhnen! Im Gegenteil: die Toleranz gegen den Krach nimmt mit der Dauer der Einwirkung ab irgendeinem Punkt messbar ab.
Ganz arme Würmchen sind die "Hochsensiblen", die dummerweise ohne natürliche neuronale Filtermechanismen auf die Welt gefallen sind. Sie trifft der Lärm immer und überall in voller Schönheit ohne jeden inneren Schutz über Ausblendung - von der Rascheltüte in der S-Bahn gegenüber bis hin zum Presslufthammer vor der Tür.
Wenn es nun ganz blöd gelaufen ist, insbesondere im Verlauf einer psychischen Beeinträchtigung, eines Burnout, einer Trauer oder auch einer schweren Krankheit, ist der Erholungsbedarf des Menschen um so höher - damit auch der Ruhebedarf. Wenn es aber weiterhin ungebremst bläst, fährt, raschelt, schreit, bellt und hämmert, steigt das Nervensystem irgendwann aus. Leider straft es sein Umfeld aber nicht mit Taubheit, sondern zumeist mit einem Tinnitus, der zu dem nervenzerfetzenden Schrillen/Pfeifen/Piepen im Innenohr nicht selten auch noch eine sogenannte "Hyperakusis" erzeugt. Hierbei interpretiert der Körper Geräusche falsch im Sinne eines inneren Verstärkermechanismus. Das führt dazu, "dass jedes Geräusch zur Qual wird" und normale Alltagsgeräusche als extrem unangenehm bis hin zu bedrohlichem Lärm empfunden werden.
Interessant:
Vom menschlichen Ohr wird eine Reduktion von nur 10 Dezibel bereits als Halbierung des Lärms empfunden!
Als ich das erfuhr, investierte ich sofort in einen sündteuren "Noise-Cancelling"-Kapselgehörschutz und laufe jetzt leider herum wie ein Freak. Andere finden das gar nicht und sagen, ich sähe "chic" oder "etwas spacig" damit aus, es wirke, als höre ich Klassik. Anyway :-D, es geht mir bereits spürbar besser so. Leider machte ich den Fehler, Lärm als etwas "das eben da und nicht zu ändern ist" zu akzeptieren und somit geistig als Störgröße zu ignorieren. Das machte mich dann leider zum Opfer der Umstände. Ich erlebte die Hauptstraße im Viertel zunehmend als "Körperverletzung" und kam erst endlich zu mir, als ich erfuhr, dass auf dieser Körperverletzung (Kreillerstraße, Berg am Laim) stündlich 28.000 Autos spazieren fahren. Daraufhin nahm ich das Phänomen meiner zunehmenden Erschöpfung und Aggressivität gegen den Krach endlich ernst und führte mal eine kleine Verkehrsmessung auf meinem Balkon (über der St-Veit-Straße) durch. Diesen Balkon kann ich schon seit Jahren kaum mehr nutzen, wegen dem mittlerweile uferlosen Gefahre bei Tag und Nacht. Die amateurhaften Berechnungen ergaben dennoch schockierendes: zwischen sechs und fünfzehn Autos fahren unter mir pro Minute vorbei. Das bedeutet in Summe (und eher schwach geschätzt), dass ca. 12.000 Autos jeden Tag an meinem Balkon (und an meinen Küchen- und Wohnzimmerfenstern) vorbei fahren! Der Lärm schwebt ungefiltert bis zum vierten Stockwerk auf und intensiviert sich bei Regen noch deutlich. In einer Woche sind das dann also ca. 72.000 Autos, in einem Monat schon 284.000 und in einem Jahr 3.480.000 - und mehr. Motorräder, Busse und Laster sind jeweils auch mit nur einer Zahl "1" gemessen ...
Für Menschen die bereits im Hexenkessel einer Stadt leben, besteht keine sichtbare oder nachvollziehbare Veranlassung, dass immer noch mehr Menschen mit immer noch mehr Fahrzeugen in die Stadtviertel hineingepresst werden. Über Projekte von "Wohnraumverdichtung", "Wohnraumnutzung", "Blockrandbebauung" (und die Asylantenheime nicht zu vergessen, in diesem Viertel planen sie gerade das vierte), wird das schon enge Leben dort dann - manchmal ausversehen und manchmal aus voller Ignoranz und bewusstem Egoismus - immer noch stressiger und unerträglicher. Eine Zunahme von Aggressivität und Gewalt ist dann kein Zufallsbefund, das muss man einfach anerkennen.
Eine Freundin brachte es resigniert auf den Punkt: "Wenn einige wenige an etwas viel Geld verdienen, wird das gnadenlos so durchgezogen. Und auch dann, wenn die restlichen 95% das auf verschiedenen Schienen dann eigentlich finanzieren. Diese 5% stecken die Massen an Kohlen ein - und ziehen dann ab, um woanders genau so weiterzumachen ..." Schöne Welt.
Und wo wir gerade so nett zusammensitzen und etwas jammern (endlich mal!), habe ich auch noch was auf der Pfanne. Wie kann es eigentlich angehen, dass jeder Irre von einem Hausmeister über einen Höllen-Gerätepark verfügt, mit dem er jeder natürlichen Erscheinung einen Verbrennungsmotor entgegensetzen kann?! Ich bin hier seit Jahren umringt von Irren! Sie fahren stundenlang (immer mit Gehörschutz, versteht sich), mit ihren Mähern spazieren. Dann laufen sie jeden Lichtmast und jeden Baumstamm mit dem Randschneider ab. Danach holen sie den Laubbläser raus, um die ganzen Grashalme vom Weg zu pusten. Nächten Tag verbringen sie ihre Zeit damit, mittels qualmenden Verbrennungsmotoren das Moos aus den Fugen zu sprengen. Jedenfalls tun sie als ob, einen nennenswerten Effekt kann ich nicht erkennen. Der nächste Irre ist bereits mit dem Laubbläser hinter dem ersten her. Dann kommen tagelang die Gärtner mit ihren Verbrennungsmotor-Hecken-Kettensägen. Der Laubbläser räumt emsig hinter ihnen auf. Das Ganze geht von Mai bis Oktober toujours durch. Wenn die Irren von der eigenen Anlage gerade mal nichts machen, führt einer der glücklichen Gartenbesitzer der Anlage eine Lärmbelästigung durch. Und wenn die alle mit Mäher und Schneider fertig sind (einige haben offensichtlich auch nichts anderes zu tun, und lassen sich gemütlich Zeit), führt garantiert sofort irgendein anderer Irrer aus dem direkten Umfeld eine seiner Höllenmaschinen stundenlang Gassi. Im Herbst toben dann rundum die Laubbläser. Dann kommen die Streuwägen. Dann die Kehrwägen. Und dann die Wägen, die das ganze Streu wieder aufsammeln. Und dann ist es auch schon wieder Zeit den Rasen zu mähen ...
Wohlgemerkt: Dieser ganze Wahnsinn sitzt oben auf den 12.000 Autos noch drauf! Und auf all den Leuten die hier leben und lärmen. Und auf der Baustelle gegenüber. Und auf der Fassadenreinigung auf der anderen Seite. Und auf einem ständig vor sich hin schnarchenden Mops. Und ...
Hab ich schon erwähnt, dass ich hier wegziehe?
Auf ein Dorf, auf dem es nicht mal Straßennamen gibt. Ich bin dann die "Nummer 19". An einer nicht asphaltierten - lach - "Straße" neben der Dorfkapelle. Es ging nicht anders. Ich bin regelrecht krank geworden in der Stadt. Lärmkrank.